Der andere Blickwinkel: Von Fehlern lernen
Wer mag sich nicht an Szenen in der Kindheit erinnern, als wir uns bei den Eltern für ein Fehlverhalten entschuldigen mussten, oft noch mit einem «schäme Dich» als Nachsatz um deutlich zu machen, dass wir etwas wirklich Verwerfliches getan hatten? Waren wir uns immer einer Schuld bewusst? Wem schuldeten wir etwas? Den Regeln, die uns die Eltern «auferlegt» hatten?
In der Diskussionssendung «Club» von SRF am 30. März 2021 verlangte die Moderatorin von der anwesenden Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), dass sie sich für die Fehler, die in der Bewältigung der Pandemie passiert sind, entschuldigen solle. Die Moderatorin liess es nicht bei einer Erklärung der Anstrengungen bewenden, sie forderte eine öffentliche Entschuldigung, während der laufenden Sendung.

Was hat sich das BAG zu Schulden kommen lassen? Gegen welche Regeln hat das Amt verstossen? Hat das Amt in seinen Aktivitäten das Wohl der Bevölkerung aus den Augen verloren und ist anderen Prioritäten als der Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit gefolgt? Und wenn ja: Wer kann und darf ein Schuldeingeständnis einfordern? Allenfalls Volksvertreter*innen oder eine SRF-Moderatorin?
Offenbar ging die Moderatorin, wie früher die Eltern bei uns Kindern, von einer Schuld, von einem verwerflichen resp. nicht-regelkonformen Handeln seitens des BAG aus, welches im Bestreben die Pandemie zu bewältigen, Fehler begangen hatte. Worin hatte sich das BAG schuldig gemacht? Gegen welche Regeln hatte es verstossen und wo hatte das Amt nicht mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt, in einer Situation, in der niemand über umfassendes Wissen verfügte, wie genau die Menschen vor der Ansteckung mit dem Sars CoVirus II und das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen sind?
Wenn Menschen in derartiger Unsicherheit handeln müssen, das wissen wir, können, ja müssen Fehler gemacht werden. Es sind die Fehler, die den Weg zu wirkungsvolleren Massnahmen mit weniger «Kollateralschäden» weisen. Der ebenfalls am Gespräch teilnehmende Gesundheitsdirektor des Kantons Bern bemerkte «cool», dass jedes IT-Projekt – und darum ging es unter anderem in der Diskussion – riskiere Fehler zu machen. Dies liege in der Natur der Sache.
Die Diskussion, dies wurde rasch klar, kreiste rund um Fehler, die das BAG in den vergangenen Monaten begangen hätte, von den altertümlichen Datenübertragungen zu Beginn der Pandemie zur verpassten Beteiligung einer Moderna-Produktionslinie bei Lonza im Wallis bis zur Unterstützung der problematischen Plattform MeineImpfungen.ch. Die Moderatorin vermutete offenbar hinter den Fehlern ein schuldhaftes und widerrechtliches, nicht regelkonformes Vorgehen. Sie unterliess es jedoch, ihre «Anschuldigungen» zu begründen. Die Schuldfrage blieb «im Leeren hängen».
Wenn Fehler begehen mit Schuld behaftet ist, dann wird Fehler machen zu einem Verbot, dann ist einzig der Erfolg gefragt und Fehler müssen bestraft werden, Köpfe müssen rollen, Strafuntersuchungen müssen eingeleitet werden. Das Lernen von Fehlern, das bessere Tun, bleibt auf der Strecke. Keinen Unterschied zu machen zwischen Fehler und Verschulden ist die Grundlage einer Fehler-Unkultur!

Dabei wissen wir: «Von Fehlern lernen» lautet ein Grundsatz nicht nur in der Unternehmenslehre. Dies haben wir bereits in einem früheren Blog festgehalten.
Auch die Politik und mit ihr die öffentliche Verwaltung sind gut beraten, Fehler als Gelegenheit für Anpassungen oder Neuorientierungen zu nutzen. Fehler passieren nur, wenn etwas getan wird. Wer nichts tut, macht auch keine Fehler, dies ist eine Binsenwahrheit. Wer aktiv nach Problemlösungen sucht und dabei neue Wege geht, riskiert Fehler zu begehen. Der Berner Gesundheitsdirektor hat dies klar gemacht. Wer will denn noch aktiv, innovativ sein, wenn Fehler nicht passieren dürfen?
Die Diskussion im SRF-Club ist eine politische. Sie will Geschehenes vertieft beurteilen und Perspektiven aufzeigen. Ebenso politisch ist eine Club-Diskussion, wenn sie die Mängel – hier des BAG – in den Fokus nimmt. Was bewegt SRF, sich auf der Mängelseite zu positionieren und – politisch – die Schuldfrage, also die Frage nach widerrechtlichem und moralisch verwerflichem zu stellen?
Uns fehlte in dieser Diskukssion der Blick auf das Erreichte, auf die verbesserten Lösungen, auf das aus den Fehlern Gelernte! Auch dies ist eine politische Haltung.
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Übrigens
Zum Ersten:
Die Post-it Zettel – resp. der Klebestoff – sind ein nicht-beabsichtigtes Forschungsergebnis von 3M. Anstatt eines Superklebers wurde eine «klebrige Masse» erfunden, «die sich zwar auf allen Flächen auftragen liess, jedoch auch genauso leicht wieder abzulösen war». Auch die Metaplan (Moderations-) Kärtchen, die sich damit auf eine Pinnwand kleben und wieder ablösen liessen, wurden, damals, nicht zu einem Geschäftsmodell. Erst das Mitglied eines Kirchenchors brachte den Durchbruch für den Post-it Zettel: aus einer «fehlerhaften Forschung» ist er als Lesezeichen auf Notenblätter entstanden.
Dies ist übrigens nichts einmaliges. Auch die Entdeckung Amerikas 1492 durch Christoph Kolumbus, die Entdeckung des Penicillins oder auch des Klettverschlusses folgen einem oft gehörten Satz: «Der Zufall begünstigt nur einen vorbereiteten Geist». Eine Entdeckung kommt – so steht es bei Wikipedia unter dem Stichwort «Serendipity» („eine zufällige Entdeckung“) – wenn jemand ungezwungen gearbeitet hat.
Der zufälligen Entdeckung den nötigen Raum zu gewähren, dies ist ein wichtiges Prinzip von Wissen und Lernen.
Zum Zweiten:
Zwei Tage später lese ich auf einem Bildschirm in einem Postauto, dass gemäss einer Standford Studie positive Gedanken zu mehr Leistungsfähigkeit führen und die Gesundheit fördern. In der auf dem Internet veröffentlichten Mitteilung von Nau.ch steht weiter: «Unser Gehirn wurde über die Jahre von uns darauf hintrainiert, immer zuerst den Mangel zu erkennen, statt der Fülle, die uns bereits umgibt.»
Kritisch sein bedeutet nicht, einzig das Mangelhafte zu betrachten. Kritisch sein bedeutet, auch die andere Seite der Medaille anzuschauen, den Nutzen, den eine Tätigkeit stiftet, den Erfolg des Tuns. In der Betriebswirtschaft ist von «Kosten- und Nutzenrechnung» die Rede!
Dieser Blog ist auch auf der Plattform punkt4 publiziert.
Bruno Ruchti schreibt:
Ein Spruch zum Thema aus Fehlern lernen, hat uns mal unser Kunstfluglehrer gesagt. Als wir vom Boden aus einem Kunstflieger zuschauten.
““Lerne von den Fehlern der anderen. Du lebst nicht lange genug, um sie Alle selbst zu machen”“
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