Den gesellschaftlichen Wandel gestalten

Kürzlich erschien in der Zeitschrift GAIA (Jahn T., et al GAIA 29/2 (2020), S. 93-97) ein interessanter Forumsartikel zu Prinzipien, wie der gesellschaftliche Wandel gestaltet werden kann, davon ausgehend, dass viele, sehr unterschiedliche und auch gegensätzliche Vorstellungen über ein „gutes Leben“ bestehen.

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Zusammenfassend:

«Sozial-ökologische Transformationen können nur gelingen, wenn wir sie als gemeinsame Gestaltungaufgabe verstehen. Doch wie kann gemeinsames Handeln gefördert werden, wenn die Vorstellungen von einem «guten Leben» so unterschiedlich sind?»

Die zehn Autor*innen des Instituts für sozial-ökologische Forschung ISOE in Frankfurt am Main sprechen vom Klimawandel und dem Artensterben und der Gefahr, dass ganze Gesellschaften und Ökosysteme zusammenbrechen könnten. Sie beobachten eine grosse Vielfalt an Sichtweisen auf die angesprochenen Krisen, aber auch an Vorstellungen und Überzeugungen, was denn «gutes Leben» sein soll. Die Trennlinien ziehen sich quer durch unsere Gesellschaften und spalten auch die Generationen, wie dies die jungen Klimaaktivist*innen deutlich machen.

Ein globales Wir gibt es nicht, wenn es um die Frage geht, in welcher Welt wir leben wollen, auch wenn die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen dies unterstellen. Konsequentes und rasches Handeln, davon sind die Autor*innen überzeugt, ist dringend nötig. Dieses müsste sich jedoch nicht nur an den Ursachen der gegenwärtigen Krise orientieren, sondern daran, wie sich künftige Krisen verhindern lassen. Angesichts der unterschiedlichen Vorstellungen eines «guten Lebens» gilt es, zu verhandeln, voneinander zu lernen, und Unvereinbarkeiten auszuhalten.

Quelle

Die Autor*innen entwickeln sechs «Gestaltungsprinzipien» für den Ausgleich zwischen der Anerkennung des Wissens um planetare Grenzen einerseits und der Ermöglichung gesellschaftlicher Entwicklungsalternativen andererseits. Es geht um eine, auch konfrontative, Verständigung der vielen «Wir-Gemeinschaften» oder «Gestaltungskollektive» darauf, wie  das, was wir «zum guten Leben» wollen, auch aus Sicht des Planeten und seiner Grenzen möglich ist. Die Gerechtigkeit soll dabei die unverzichtbare moralische Grundlage sein.

Sechs Prinzipien:

(1) Klimawandel und Artensterben sind Ausdruck der Art, wie die Menschen mit der Natur umgehen. Die Natur wird im Wesentlichen auf die Aufgabe reduziert, den Menschen ihre Lebensbedingungen zu sichern. Die Beziehungen zwischen menschlicher und nichtmenschlicher Natur – auch der Mensch ist Teil der Natur – muss in den Mittelpunkt rücken.

(2) Entgegen der rein ökonomischen Inwertsetzung der Natur bedeutet «Gestaltung», die Koexistenz von verschiedenen Gruppen der menschlichen Gesellschaft und von nichtmenschlichen Subjekten resp. Lebewesen zu ermöglichen.

(3) «Gestaltung» muss sich mit Grenzen auseinandersetzen, physischen, sozialen, politischen, kulturellen. Vorstellungen für ein besseres Leben sollen sich im Rahmen derartiger Grenzen realisieren lassen. Dies schliesst ein, die Folgen der eigenen Lebensweise für andere – mit anderen Lebensweisen – zu erkennen.

(4) Jede angestrebte Entwicklung ist nur bis zu einem gewissen Grad steuerbar. Das Verhältnis Gesellschaft-Natur ist «komplex», die Wirkungen von «Gestaltungsmassnahmen» sind nur begrenzt voraussehbar. «Gestaltung» bedeutet somit, mit widersprechenden Problemwahrnehmungen, Unsicherheit und Nichtwissen umzugehen. Es bedeutet auch, Überraschungen zu verarbeiten und offen zu sein für alternative Gestaltungsziele.

(5) Die «Gestaltung» muss auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Folgen bzw. Veränderungen von heute bereits erlebten und noch absehbaren Umweltveränderungen stärken.

(6) Die «Gestaltung» ist eine Aufgabe aller und muss entsprechend als (basis-)demokratischer Prozess allen Akteure die Möglichkeiten geben, teilzunehmen.

Quelle

Unterschiedliche Interessen und Handlungsmöglichkeiten  und -vorstellungen müssen sich ausdrücken können. Die «transdisziplinäre» Kooperation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erwähnen die Autor*innen als ein geeignetes Feld um lokales und fallspezifisches, wissenschaftliches Wissen zu nutzen und zu verbinden.

Im Artikel zeigen die Autor*innen an Beispielen der Wasser- und Landnutzung sowie der Biodiversität die Anwendung dieser Prinzipien auf. Dabei wird deutlich, dass die Prinzipien im Einzelfall, für (geographisch) lokale Gestaltungsprozesse, zu konkretisieren sind.

Quelle

Es geht darum, sich über mögliche Lösungen zu verständigen, unter Anerkennung von Interessensgegensätzen, Machtansprüchen und verschiedenen Wertvorstellungen und Gestaltungsmöglichkeiten zu entdecken und entsprechend zu handeln.

Zur Vertiefung:  ISOE – Transformation: eine Dokumentation

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